Oliver Päßler

25.02.2015

Spurensuche im wilden Kurdistan < back

Ein weißer Teppich legt sich schimmernd über den Basar, gewebt aus dem Gefieder unzähliger Hühner. Türkis leuchten die Kuppeln der Moscheen in der Sonne. Daneben, grell und stolz, glänzende Glasfassaden neuer Hochhäuser - Sulaimaniyya ist der Ort, wo Orient und Moderne zauberhaft zusammentreffen. Über 1,6 Mio. Einwohner leben in der größten Stadt Kurdistans, eingerahmt von einem Bergpanorama fast wie man es aus den Alpen kennt. Auf den Straßen wirkt alles entspannt und freundlich. Jugendliche geben mir die Hand und fassen mich an den Haaren. Die Farbe blond sieht man hier eher selten. Auffällig dagegen die schwarzen Mähnen der Kurdinnen, von denen nur wenige verschleiert sind. Die Jungs wollen ein Foto, ein Selfi mit mir in ihrer Mitte. Geknipst wird mit dem neusten Smartphone Model. Überwältigt von der fremden Motivwelt steifen wir durch die Stadt. Auch wir fotografieren und filmen, ohne dass irgendjemand groß Notiz davon nimmt.

Wer hätte gedacht, dass wir uns hier, im Nordosten Iraks, so unbeschwert bewegen können? Von Deutschland aus kann man sogar direkt nach Sulaimaniyya fliegen, ganz ohne Visum. Die Stadt ist das kulturelle Zentrum der autonomen Region Kurdistan-Irak, dem neu gewonnenen Reich der Kurden. Nur ein Mietauto gibt es nicht. Dafür bekommen wir Hilfe von der lokalen Antikenbehörde unter Leitung von Kamal Rascheed. Sein Büro im Gebäudekomplex des archäologischen Slemani Museums ist zentraler Anlaufpunkt für uns und die Forscherin, deren Arbeit wir dokumentieren. Karen Radner ist Altorientalistin und eine der weltweit führenden Expertinnen für das neuassyrische Reich im ersten Jahrtausend vor Christus.

Syrien, Libyen, Ägypten oder Iran – noch vor wenigen Jahren konnte Radner dort nahezu ungefährdet graben. Das ist mittlerweile unmöglich. Hätte die Forscherin nicht persönlich in der Produktion angerufen und uns ermutigt zu kommen, wären wir höchstwahrscheinlich zuhause geblieben. Schließlich hatte das Auswärtige Amt eine durchdringende Reisewarnung für den Irak ausgesprochen, das autonome Kurdistan inbegriffen. Der islamistische Terror erschwert die Arbeit der Archäologen und Historiker erheblich. Sie werden in immer entlegenere Gebiete des Nahen Ostens gedrängt. Jetzt also Kurdistan, wo Saddam Hussein jahrzehntelang die Kurden und Schiiten unterdrückte. Seine Diktatur gipfelte Ende der 1980er Jahre im Genozid an den Kurden im Nordirak. Trauriger Höhepunkt war der Giftgasangriff auf Halabdscha, wo an die 5000 Menschen getötet wurden. Jeder unserer kurdischen Begleiter ist mit dieser Geschichte auf schmerzvolle Weise verbunden, viele haben bis zum Sturz Saddams 2003 selbst gegen die irakische Armee gekämpft. Die widerständigen kurdischen Soldaten, die Peschmerga, werden hier als Nationalhelden verehrt.

Auf der Suche nach dem Fundort einer geheimnisvollen Tontafel fahren wir mit der Professorin aus der Stadt Sulaimaniyya in Richtung iranische Grenze. Radner ist Keilschriftexpertin. Aus schriftlichen Überlieferungen rekonstruiert sie die sozialen Verhältnisse Neuassyriens, des ersten Großreichs der Weltgeschichte. Wo genau befanden sich seine Grenzen? Wie gestaltete sich das Verhältnis mit den Nachbarvölkern? Darüber könnte die Tontafel, die ein Bauer beim Pflügen entdeckte, Auskunft geben. Auf der Tafel ist ein außergewöhnlicher Handel eingraviert: der Tausch einer schönen Sklavin gegen 14 Kilo Kupfer. Vielleicht finden sich auf dem Acker in der Ranja Ebene noch mehr wertvolle Überlieferungen. Für die Antikenbehörde geht es darum, ein Bewusstsein für die eigene Geschichte herauszubilden. Wie ließe sich eine kurdische Identität auf der Basis der Kultur der Vorfahren im Lande konstruieren?

Kurz nachdem wir die bewachte Stadtgrenze passiert haben, tut sich vor den Augen eine atemberaubende Landschaft auf. Weite Täler und imposante Berge, die immer bizarrere Formen annehmen. Das Klima ist mild, die Wiesen sind saftig und grün. Nur die Bäume, sagen unsere Fahrer, die fehlen. Früher wuchsen hier sogar einmal Wälder, doch die chemischen Waffen Saddams hätten sie alle vernichtet. Inmitten der Ebene, umrahmt von den felsigen Gipfeln des Zagros-Gebirges taucht auf einmal ein riesige weiße Festung auf. Die Führer erklären: hier an einem der sichersten, weil durch die Berge geschützten Orte, befindet sich ein riesiges Gefängnis für Dschihadisten und Söldner des so genannten islamischen Staates. Ein mulmiges Gefühl macht sich unter dem Team breit.

Noch gilt Sulaimaniyya als sicher. 250 km weiter nordwestlich kommt man dagegen schnell in die tödliche Grenzzone. Im Kampf gegen ISIS rund um Mossul bezahlen Peschmerga Soldaten tagtäglich mit ihrem Leben. – Die Fahrt geht weiter bergauf durchs „wilde Kurdistan“. Wir umrunden den ausladenden Dukan Stausee. Das Panorama hätte Karl May sicher auch imponiert und zu noch wilderen Abenteurergeschichten angestiftet. Unser Ziel, ein Siedlungshügel in der Ranja Ebene, kommt langsam aber sicher in Blick. Unweit des Hügels befindet sich eine Hühnerfarm. Hier werden Karen Radner und ihr britischer Kollege tatsächlich fündig: An einer Abbruchkante staksen zahllose Tonscherben aus der Erde. Sie sind sich sofort sicher, dass es sich hierbei um Geschirr aus neuassyrischer Zeit handeln muss. Noch auf der Nachhausefahrt ins Hotel wird dieser unscheinbare Ort im telefonischen Austausch mit Fachkollegen als neue Grabungsstätte festgelegt. Karen Radner kann hoffen, schon bald mehr zu entdecken und die Geschichte des neuassyrischen Reiches wieder Stück besser zu verstehen und weiter zu erzählen.

Kaum sind wir nach einer aufregenden Heimreise wieder zurück in Berlin, kommt der Schock: IS-Extremisten wüten im Museum in Mossul und zertrümmern Götterstatuen und Türhüter Figuren aus Ninive. Kurz darauf wird mit Nimrud sogar eine ganze antike Stadt in Schutt und Asche gelegt. Verkehrte Welt: wo Forscher mühsam nach Tontafeln graben, zerstören IS-Demagogen nur unweit entfernt die Kulturgüter Assyriens für immer...